Wir waren am Samstag, den 08.10.2016, in Berlin im Theater am Schiffbauerdamm

, in dem seit 1954 das 1949 von Helene Weigel und Bertolt Brecht gegründete Berliner Ensemble seine Spielstätte hat. Seit 1999 leitet Claus Peymann das Berliner Ensemble und er tut dies im Sinne Brechts, das heißt, er fühlt sich der „Aufklärung“ verpflichtet und inszeniert daher folgerichtig auch politisch ausgerichtete Stücke wie Brechts „Mutter Courage und ihre Kinder“. Genau dieses Stückes wegen waren wir vor Ort. Wir, das sind: Laura Bungarten, Josephine Hammerschmitt, Josephine Melcher, Rohan Sawahn und als begleitender Lehrer Franz-Peter Budde, der auch der Verfasser dieses Textes ist. Um 19.30 Uhr hebt sich der Vorhang und die Marketenderin Anna Fierling, so der bürgerliche Name von Mutter Courage, kommt mit ihrem angespannten Familienbetrieb herangefahren. Ihr Marketendergefährt ist eine umfunktionierte Zweispännerkutsche mit Deichsel vorne und Plane oben drauf und drum herum. Anstelle zweier Pferde ziehen eingangs die beiden Söhne Eilif und Schweizerkas den Wagen, dessen Manövrieren auf der schräg gestellten Bühne als anspruchsvoll anzusehen ist. Mutter Courage ist eine Kämpferin, die das Publikum zunächst einmal durchaus auf ihre Seite zu ziehen vermag. „Will vom Krieg leben, wird ihm wohl müssen auch was geben“, sagt ihr zu Beginn der Feldwebel. Im Geschäftemachen liegen bei ihr Stärke und Schwäche gleichermaßen. Sie feilscht erfolgreich und verliert ihren ältesten Sohn Eilif, den sie für clever hält und dem ihr ganzer Mutterstolz gilt, an einen Werber, weil sie auch in einer brenzligen Situation zwanghaft Handel treiben muss und während des Handelns andere Realitäten nicht mehr wahrnimmt. „Ich trenn mich doch nicht vom Wagen“, sagt sie symptomatisch, als sie das Lösegeld für ihren jüngeren Sohn Schweizerkas über die Prostituierte Yvette aushandeln lässt. Auch hier feilscht sie, bis es nichts mehr zu verhandeln gibt. Ihr Sohn überlebt den Preispoker nicht. „Courage@Co“ prangt im zweiten Teil der Aufführung über dem Giebel ihrer Marketenderkutsche, die sie mittlerweile zusammen mit ihrer stummen Tochter Kattrin ziehen muss. Natürlich ist Mutter Courage eine Frau mit einer tragischen Biographie, aber immer, wenn man als Betrachter geneigt ist, emotional mitzugehen, kommt etwas daher, was das aufkeimende Mitgefühl wieder abkühlt. Das ist „Episches Theater“. Über den temporär sich einstellenden Frieden ist Mutter Courage „not amused“ und sie verliert dann „konsequent“ auch noch ihre Tochter, die sich für die Menschen eines Dorfes aufopfert. Ihr letzter Satz bringt ihr ganzes Dilemma auf den Punkt. „Ich muss wieder in den Handel kommen“, sagt sie, als sie ihre drei Kinder an den Krieg abgegeben hat, von dem sie lebt. Sie zieht ihre Krempelkarre nunmehr allein. Sie hofft, ihren Lieblingssohn Eilif wiederzusehen, der es allerdings auch längst bis zur Hinrichtung gebracht hat, was sie jedoch nicht erfährt, weil der Feldprediger und der Pfeifenpieter ihr diese Nachricht bewusst vorenthalten, damit ihr nicht auch noch die Hoffnung abhandenkommt. Wie bei „Der gute Mensch von Sezuan“ könnte jetzt hier ein Spielleiter auf die Bühne treten und den berühmten Satz sagen: „Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen den Vorhang zu und alle Fragen offen.“ Bleibt anzumerken, dass ich diese Aufführung am 12. April 2012 schon einmal gesehen hatte und von daher wusste, dass meine SchülerInnen eine zwar gekürzte, ansonsten aber textgetreue Aufführung von Format zu sehen bekommen würden mit einer exzellenten Carmen-Maja Antoni als Mutter Courage. Nicht sonderlich überzeugend war im Vergleich zur Aufführung vor viereinhalb Jahren die Neubesetzung der drei Kinder von Mutter Courage. Insbesondere Karla Sengteller konnte die geniale Christina Drechsler als stumme Kattrin nicht annähernd ersetzen. Wie ich unlängst der Website des Berliner Ensembles entnehmen konnte, inszeniert Claus Peymann im Februar 2017 „Prinz Friedrich von Homburg“ von Heinrich von Kleist. Das ist möglicherweise seine letzte Premiere mit dem Berliner Ensemble, denn im Sommer 2017 endet seine Intendanz im Theater am Schiffbauerdamm. Da der „Prinz“ zu den Pflichtlektüren in der hessischen Oberstufe zählt, bin ich nicht kategorisch abgeneigt, noch eine solche Fahrt zu unternehmen. Zunächst aber müssen wir das Stück im Unterricht besprechen und schauen, wie Michael Thalheimer den „Prinzen“ im November am Frankfurter Schauspiel inszeniert. Franz-Peter Budde

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