Einen fesselnden Roman vorgelesen zu bekommen, ist ein Vergnügen – ihn jedoch von dessen Autor höchstpersönlich vorgelesen zu bekommen, das ist ein besonderes Privileg. In den Genuss genau dieses Privilegs kamen kürzlich die Schüler*innen der Klassen 8f, 8g und 9d im Theaterraum des Taunusgymnasiums. Dirk Reinhardt, preisgekrönter Jugendbuch-Autor, hatte sich eingefunden, um aus seinem Roman „Über die Berge und über das Meer“ zu lesen und darüber mit den Schüler*innen ins Gespräch zu kommen. Organisiert hatte das Ereignis Frau Zalud, die immer wieder illustre Vortragende für eine Lesung am Taunusgymnasium gewinnt.
Im ersten Teil des 90-minütigen Vortrags erzählte Dirk Reinhardt zunächst, wie es zu dem Roman kam. Bei einer Lesung seines vorherigen Romans, „Train Kids“, der von Flüchtenden in Mittelamerika handelt, sei ein afghanischer Junge zu ihm gekommen und habe ihm erzählt, die Geschichte habe ihn an seine eigene Flucht aus Afghanistan erinnert. Daraufhin begann Reinhardt, gezielt authentische Geschichten von geflüchteten Jugendlichen aus Afghanistan zu sammeln. Diese intensive Recherche führte schließlich zu seinem neuesten Roman, „Über die Berge und über das Meer“, bei dem viele Elemente authentischer Schicksale zu fiktiven Figuren verschmolzen wurden. Eine der beiden Hauptfiguren, die 14-jährige Soraya, die aus einem afghanischen Bergdorf stammt, wächst aufgrund alter Brauchtümer mit den Rechten und Freiheiten eines Jungen auf, was den Taliban sehr missfällt. Sie muss, um ihre Freiheit nicht zu verlieren, fliehen – und macht sich in Richtung Türkei auf. Ihr langjähriger Freund Tarek, 15-jähriges Mitglied einer Nomadenfamilie, die unter dem Klimawandel leidet, soll sich nach Deutschland durchschlagen, um von dort aus seine Verwandten zu unterstützen. Und so brechen beide Hauptfiguren ohne ihr Wissen fast zeitgleich nach Westen auf, in unterschiedlichen Gruppen, von Schleusern geführt. Sie kommen sich oft nah, und einmal treffen sie sich sogar, um dann wieder getrennte Wege zu gehen. Nach einer Station in Istanbul macht sich Soraya schließlich auch nach Deutschland auf. Dirk Reinhardt liest fesselnd, seine Erklärungen untermalt er mit eindrucksvollen authentischen Bildern aus Afghanistan und der Türkei. Die Ausschnitte, die er aus seinem Roman vorliest, machen die Zuhörenden neugierig – man würde gerne wissen, wie es weitergeht.
Den interessierten Fragen aus dem Publikum stellt sich Dirk Reinhardt anschließend auf sehr offene, persönliche Weise. So wird er etwa gefragt, wie er Jugendbuch-Autor geworden sei. Er habe schon als Kind gerne geschrieben und viel gelesen. Als Erwachsener – inzwischen arbeitete er als Journalist – habe er immer wieder Probekapitel an Verlage geschickt und nach zahlreichen Absagen schließlich die Zusage eines kleinen Verlags erhalten. Er wurde bekannter, gewann einen Literaturpreis, ein größerer Verlag meldete sich. Sein dritter Roman wurde vermehrt als Schullektüre gelesen, was wiederum für eine höhere Auflage sorgte – und seit zehn Jahren kann er von der Schriftstellerei leben. Diese Erfolgsgeschichte erzählt Reinhardt sehr bescheiden und sympathisch. Wichtig sei ihm immer eine profunde Recherche; so dauere die Vorarbeit zu einem Roman meist länger als das eigentliche Schreiben. Sogar Einblicke in seine Arbeitsweise gewährt der Autor den Schüler*innen: So schreibe er immer ein genaues Konzept von etwa 70 Seiten, das bereits die gesamte Handlung und die Figuren enthalte; anschließend könne er sich auf das literarische Schreiben, auf die Sprache konzentrieren. Die Zuhörer*innen hatten noch viele weitere Fragen zu seinem Leben und seinen Interessen, die Dirk Reinhardt sehr offen beantwortete.
Mit Sicherheit war durch die faszinierende Lesung das Interesse einiger Schüler*innen an dem Roman geweckt – und vielleicht auch an der Arbeit als Schriftsteller, denn Dirk Reinhardt wirkte mit seiner geerdeten und bescheidenen Art bei zugleich beachtlichem Erfolg durchaus als Vorbild. (Rmy)