Einen faszinierenden Einblick in die jüdische Kultur gewährte Lea Fleischmann, Autorin und ehemalige Studienrätin, den 10. Klassen im Rahmen eines Vortrags am Taunusgymnasium. Nach einer Begrüßung von Herrn Veltjems begann Frau Fleischmann mit ihrer überaus interessanten Biographie: Ihre Eltern kamen als Holocaust-Überlebende nach Ende des 2. Weltkriegs nach Ulm. Dort wuchs Frau Fleischmann in zwei getrennten Welten auf: Einerseits waren die Deutschen aus Sicht Ihrer Eltern alle „Mörder und Nazis“ – andererseits begegnete sie in der Schule sehr freundlichen Lehrkräften. Über den Holocaust wurde damals in der Schule noch nicht gesprochen.

Nach dem Abitur und Studium – während dem sie in der neu aufkommenden Frauenbewegung aktiv war – wurde Frau Fleischmann Lehrerin an einer Fachschule für Sozialpädagogik. Dort war sie erstmals mit dem dichten Netz an Verordnungen konfrontiert, das den Berufsalltag von Beamten regelt. Sie beschäftigte sich anschließend intensiv mit den Verordnungen der Nazi-Zeit – und kam zu dem Schluss, dass es auch damals für jeden Schritt genaue Verordnungen gab, die von den fleißigen, korrekten Beamten gewissenhaft befolgt wurden, beispielsweise auch zur schrittweisen Ausgrenzung der Juden aus der deutschen Gesellschaft. Damals kam Frau Fleischmann der Gedanke, dass nur wieder eine ähnlich radikale Gruppe an die Macht kommen müsse; die Beamten würden wiederum die dann geltenden Gesetze fleißig befolgen.

Aufgrund dieser Erkenntnis verließ Frau Fleischmann Deutschland im Jahr 1979 und wanderte nach Israel aus. Sie wurde zur Autorin und schrieb weiter in ihrer Muttersprache Deutsch. Als sie das Buch „Schabbat“ veröffentlichte, stieß dies in Deutschland auf reges Interesse – seither wird sie zu zahlreichen Vorträgen eingeladen, bei denen sie Nichtjuden das Judentum erklärt. 

Sehr eindrucksvoll schilderte sie, wie sie den Schabbat, den Ruhetag der Juden, „auf der Straße“ entdeckte – in einem orthodoxen Viertel Jerusalems wurde nämlich am Schabbat das Ruhegebot so ernst genommen, dass sogar der Straßenverkehr komplett zum Erliegen kam. Streng gläubige Juden begehen den Schabbat vom Freitagabend bis zum Samstagabend; sie dürfen in dieser Zeit nicht arbeiten und nicht einmal an die Arbeit denken. Eine genaue Abfolge von rituellen Handlungen, darunter das Segnen von Brot und Wein, bildet den Rahmen des gemeinsamen „Stillhaltens“ in der Familie. Keinerlei technische Geräte – weder Tablet, noch Handy, noch Telefon – dürfen in dieser Ruhepause verwendet werden. Stattdessen wird gemeinsam geredet und gesungen, keine Störung von außen wird geduldet. Frau Fleischmann hatte die verschiedenen rituellen Gegenstände, darunter eine Kerze mit sechs Dochten, zu ihrem Vortrag mitgebracht und zeigte ganz praktisch, wie sie beim Schabbat zum Einsatz kommen.

Als Frau Fleischmann, die selbst nicht streng religiös lebte, diese wöchtlich wiederkehrende Ruhepause einmal in einer orthodoxen Familie miterlebte, war sie tief beeindruckt und begann sich intensiv damit zu beschäftigen. Mittlerweile sieht sie diesen Ritus als wichtigen Gegenpol zu unserer rastlosen Wegwerf-Gesellschaft, die dabei ist, den Planeten zu zerstören. Da wir im Alltag immer zur Schnelligkeit angehalten seien, müsse man Ruhe erst einmal lernen. Auch in der christlichen Tradition war der Sonntag früher ein Ruhetag; er habe sich nun aber zum Freizeit-Tag gewandelt, an dem man sich keineswegs nur ausruhe und besinne. 

Frau Fleischmann regte die zuhörenden Zehntklässler mit ihren Ausführungen zum Denken an, etwa mit der Frage, wie lange sie es ohne Handy aushielten. Bei der anschließenden Gesprächsrunde stellten die Schüler*innen Frau Fleischmann zahlreiche Fragen zum jüdischen Leben und zur Bedeutung des Schabbat in unserer hektischen Zeit. Der Vortrag wirkte sicherlich bei dem einen oder anderen nach. Und vielleicht gelingt es hin und wieder tatsächlich, ein paar Stunden ohne Medienkonsum und ohne Smartphone zu genießen – einfach nur im Gespräch mit Mitmenschen.   (Rmy)

 

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