„Du gehörst uns!“ – so der aufrüttelnde Titel des Vortrags von Prof. Montag über die psychologischen Strategien der sozialen Medien und deren Auswirkungen auf unsere Gesellschaft, der am Taunusgymnasium Königstein im gut gefüllten Theaterraum stattfand. Im Rahmen der Königsteiner Schulgespräche, einer Vortragsreihe, die am TGK brisante Themen für Schülerinnen und Schüer, Eltern und Lehkräfte in den Blick nimmt, gestaltete Prof. Montag einen Vortrag, der einen faszinierenden Blick hinter die Kulissen der Tech-Konzerte gewährte und ganz konkrete Tipps im Umgang mit den sozialen Medien bereithielt. Schulleiterin Frau Herbst hatte Prof. Montag vor einigen Jahren kennengelernt und konnte ihn nun für den Vortrag gewinnen. Als Professor für Molekulare Psychologie an der Universität Ulm ist er anerkannter Experte im Bereich soziale Medien; er forscht in vielfältiger Weise zu dem Thema und war unter anderem an einem Gesprächskreis bei Facebook beteiligt. 

Zunächst skizzierte Prof. Montag die Geschichte und Struktur des „Datengeschäftsmodells“, das es den Konzernen ermöglicht, über persönliche Datenprofile der einzelnen Nutzerinnen und Nutzer den Werbekunden passgenaue Zielgruppen-Zugänge anzubieten – eine mehr als einträgliche Geldquelle. Die Technologien, die für diese neue Welt der Vermarktung entwickelt wurden, reichen vom Internet bis hin zum Smartphone, das mit heute 4 bis 5 Mrd. Nutzern die am schnellsten verbreitete Technologie der Menschheit darstellt. 

Den Konzernen geht es darum, die Nutzer möglichst lange zu binden – dafür beherrschen Sie das „Nutzen-Gratifikationsmodell“ in immer größerer Perfektion, nach dem die menschlichen Bedürfnisse nach Bindung und Bestätigung (oft auch nur scheinbar) befriedigt werden. Das Datengeschäftsmodell hat enorme Schattenseiten – so etwa, dass die Daten von Milliarden von Nutzern schonungslos erfasst werden, um „digitale Fußabdrücke“ zu erstellen, daraus abzuleiten, was die Vorlieben des einzelnen Nutzers sind, und den passgenauen Zugang zu den Nutzern zu vermarkten. Allein durch die Profilbilder kann mittlerweile mittels der Künstlichen Intelligenz auf vieles rückgeschlossen werden, beispielsweise sogar mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die politische und sexuelle Orientierung. All diese Daten sind zudem in wenigen Händen, was den Tech-Konzernen eine beunruhigende Macht verleiht. 

Um diese lukrative Bindung zu maximieren, setzen die Konzerne auf „süchtig“ machende Mechanismen – laut Prof. Montag sind daher keine „gesunden“ sozialen Medien möglich. Aus einem Nezwerk auszusteigen, sei besonders schwierig, da man emotional mit dem Netzwerk involviert sei und beispielsweise mit einem Schlag alle Follower verlieren würde, wollte man auf eine App verzichten. Die Erfindung des „Like“-Buttons habe zu dieser emotionalenk Bindung erheblich beigetragen, da der dadurch ausgelöste Belohnungs-Effekt unmittelbar im Gehirn abläuft. All diese Erkenntnisse untermauerte Prof. Montag jeweils mit aktuellen Forschungsergebnissen aus Metaanalysen, was seinen Vortrag besonders überzeugend machte.

Zuletzt thematisierte er, warum Smartphones – bei aller Nützlichkeit – auch unproduktiv machen können. Allem voran nannte er die Fragmentierung des Alltags; wenn man hundertmal am Tag das Handy aus der Tasche zieht (kein seltener Wert), schrumpft die maximale Konzentrationsspanne auf etwa 10 Minuten. Man werde von der Sogwirkung der sozialen Medien auf Schritt und Tritt aus seinen Gedanken gerissen. Und dies habe drastische Auswirkung auf das Lernen und die Kreativität. Prof. Montag: „Wir müssen uns die Struktur im Alltag zurückerobern, die uns das Datengeschäftsmodell zerstört hat“ – so seine zentrale These. Er untermauerte sie unter anderem mit der „Brain Drain“-Studie von 2017, nach der allein ein Smartphone, das ausgeschaltet am Tisch liegt, eine erheblich ablenkende Wirkung hat. Laut Prof. Montag besteht nachweislich eine Korrelation zwischen der Nutzung sozialer Medien und den kognitiven Funktionen.

Die Frage, die das gebannt lauschende Publikum wohl am meisten beschäftigte, kam im letzten Teil des Vortrags zur Sprache: Wie sollten Kinder und Jugendliche mit sozialen Medien umgehen? Das Datengeschäftsmodell kollidiere mit den Primärbedürfnissen der Kinder, sei aber nicht monokausal für die wachsenden psychischen Probleme in dieser Altersgruppe verantwortlich. Die Identitätsfindung von Kindern erfolge heutzutage zunehmend im digitalen Raum, und dies habe messbare Auswirkungen – so sei etwa die Übernutzung sozialer Medien tatsächlich verantwortlich für Körperbild-Probleme, vor allem bei Mädchen. Ein Experiment zeigte, dass das Löschen einer bestimmten Social-Media-App vom Handy innerhalb von 14 Tagen für ein positiveres Körperbild sorgt. Bei starker Handy-Nutzung sinkt nachweisbar die Lernleistung. Und ein Smartphone-Verbot an Schulen sorgt unmittelbar für mehr Bewegung seitens der Schülerschaft, was wiederum in jeder Hinsicht gesundheitsförderlich ist.

Die Digitalisierung der Schulen hinterfragt Prof. Montag kritisch; eine „blinde“ Form der Digitalisierung sei nicht hilfreich. So leide beispielsweise das Verständnis von komplexen Texten, wenn sie digital statt auf Papier gelesen werden. Auch sorge der „Digital Divide“ für eine zunehmende Ungleichheit der Schülerschaft – wer sich moderne, teurere Geräte leisten könne, sei klar im Vorteil. Daher plädiert Prof. Montag für eine „digitale Schuluniform“, bei der alle Lernenden dieselben Werkzeuge in die Hand bekommen und gezielt in ihrer Medienkompetenz geschult werden. 

Nach dem Vortrag beantwortete Prof. Montag noch einige Fragen der Zuhörerinnen und Zuhörer, etwa bezüglich des Mindestalters für die Nutzung sozialer Medien. Die Altersvorgabe von 13 Jahren sei eher zufällig entstanden, darunter sollte man keinesfalls mit Instagram und Co anfangen. Wie man Kindern einen verantwortungsvollen Umgang mit sozialen Medien beibringen könne, erklärte er auch: Die Vorbildwirkung der Eltern spiele eine große Rolle. Auch solle man sich genau überlegen, welche Apps unbedingt aufs Handy müssen – damit ist die ständige Ablenkung im Alltag zu steuern. Sinnvoller wäre eine stukturierte Nutzung eines sozialen Mediums zuhause am Familien-PC zu einer bestimmten abendlichen Zeit. Je weniger Ablenkung man ständig verfübar habe, desto besser könne man mit der Sogwirkung der sozialen Medien umgehen.   (Rmy)

 

 

 

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